Wahl heute mal von der anderen Seite erlebt, als stellvertretender Wahlvorsteher. Das wird hier nur ein spontaner Erguß von
Tageserlebnissen, weder erschöpfend noch ausgewogen.
Dazu war der Tag zu lang und zu voll. Mit allem.
Treffen um 7:30 am Wahllokal, kurzer Schnack, “hey, ich hab an einen Seitenschneider gedacht … joah, da biste diesmal der Dritte … ” Wahlwerbung die allzunah hängt entfernt.
Da hatte der Chef von dem Bumms schon diverse Zeit damit zugebracht, Stimmzettel, Hinweisschilder, Protokollvorlagen, Stifte, Schnüre, Sigel, Packpapier, … herbeizuschaffen.
Krempelkram im Wahllokal aufbauen, kurze Absprache, wer wann Pause machen kann und dann normaler Wahlbetrieb bis erstmal 15 Uhr. Vor 12 ein Ansturm, nach 13:30 eine kleine Flaute, aber eigentlich immer was los. Die hoffnungsvoll bereitgelegte Lektüre bleibt unberührt.
Dann werden zusätzlich die ganzen Briefwahlumschläge angeliefert, auspacken nach Protokoll und die Stimmzettel in die Wahlurnen.
18 Uhr ist dann Schluß und man meint so, naja, geschafft, oder? Denkste, Puppe.
Auszählen. Aus vier Wahlen (Europa, Kreistag, Gemeindevertretung, Bürgermeister) werden Berge von Stimmzetteln, Zähllisten, Protokollen, Vorlagen für “Schnellmeldungen”. Alles höchst sortiert und immer der Reihe nach, alles mehrfach durch Zugucker und Macher abgesichert, ständig müssen Zwischensummen und Zählungen abgeglichen werden.
Es gibt Zähllisten. Die enthalten einfach nur Zahlenkolonnen, die man abstreicht. Eine der Helfer*innen nimmt einen Stimmzettel, ruft auf “XPE, Karl Napf, zwei”, dann macht man an der passenden Stelle zwei Striche durch seine Zahlenkolonne, immer zwei Zähler*innen gleichzeitig, damit man hinterher abgleichen kann, ob beide das selbe Ergebnis haben. Sonst wird’s mühsam, dann stimmt irgendas nicht.
Und hey, wir hatten echt Schwein, weil Panaschieren in MV nicht auf dem Plan steht.
Und immer wenn das Ergebnis einer der vier Wahlen endlich ermittelt ist, muß es per Telefon durchgegeben werden. Zig Parteien mit jeweils soundsovielen Kandidat*innen, jede einzelne Zahl durchs Telefon. Online ist halt Neuland, nech.
Um so gegen 22 Uhr sind wir dann endlich fertig mit dem Zählen. Dann ist doch gut, oder? Alle haben alles gezählt, was soll da noch kommen?
Jede Menge Protokolle, die nachweisen, daß alle Stimmzettel gezählt wurden, daß alle Stimmen auf allen Stimmzetteln gezählt wurden, daß alle ungültigen Stimmzettel korrekt aussortiert wurden, daß nichts verschwunden und nichts dazugekommen ist.
Leute, ich kann es Euch nur ans Herz legen. Meldet Euch als Wahlhelfer, macht das mal mit. Ich mußte im zarten Alter von gut 50 Jahren dazu gezwungen werden und der Wahltag war für diesen einen Akt komplett beim Teufel, aber es hat sich gelohnt.
Es hat mir nochmal ein neues Verständnis davon verschafft, was Demokratie ist und wie das arbeitet. Was bisher abstraktes Wissen war, ist auf einmal konkret. Es hat einfach etwas Unantastbares, Unfälschbares, urtümlich Demokratisches. Jederzeit bewachen mindestens 7 Augenpaare, wie ein Blatt Papier von hier nach da wandert und registriert wird.
Ich könnte mich jetzt in Richtung Walter Benjamin versteigen und behaupten, so ein Wahllokal, die dortigen Handlungen und Handelnden, hätten diese unmittelbare Aura des echten Kunstwerks. Da ist nichts Kopie. Alles ist echt.
Achso: Verabschiedet haben wir uns dann vor dem endlich abgeschlossenen Wahllokal kurz nach 23 Uhr. Und da mußten der Wahlvorsteher und die Schriftführerin immernoch alle gesammelten Papierbögen mitsamt den Protokollen in die nächstgelegenen Kleinstadt liefern.